Würdigung
Grundidee unseres Konzeptes ist es, den Entwurf von Hans Schwippert beizubehalten, sehr sensibel mit der vorhandenen Bausubstanz umzugehen und sie behutsam im Sinne der Anforderungen des Zweiten Vatikanischen Konzils zu erweitern.
Der Einfall, die Krypta sichtbar zu machen und somit eine vertikale Achse zwischen Vergangenheit, Gegenwart (Hauptraum) und Zukunft (Oculus in der Kuppel) zu installieren, ist sehr modern und steht symbolisch für eine Kirche des Aufbruchs. Wir wollen diesen Gedanken Schwipperts aufgreifen und ihn zeitgemäß weiterentwickeln. So soll das Taufbecken in der Mitte der Kathedrale die zeitliche Vertikale symbolisch um eine Horizontale ergänzen und jeden Gläubigen persönlich an seine Aufnahme in die katholische Kirche erinnern.
Weiterhin wollen wir Schwipperts Arbeit auch dadurch würdigen, dass alle Elemente der Veränderung optisch als solche sichtbar sind.
Entkleidung
Leitgedanke bei allen Maßnahmen ist die Neuausrichtung der Kirche unter Papst Franziskus. Sein Bekenntnis zur Einfachheit und Bescheidenheit sowie sein Wunsch „einer armen Kirche für die Armen“ sollen sich auch in der architektonischen Sprache der Neugestaltung wiederfinden.
So verwenden wir bewusst einfache Materialien wie Beton, Stein, Glas und Metall. Der weiße Beton soll durch Zuschlagstoffe wie Marmor und cremefarbene Farbpigmente sowie seine glatte Verschalung und Verschleifung schlicht und erhaben zugleich wirken. Durch die Auswahl des Materials und das Spiel zwischen An- und Überformen rücken minimale Interventionen Vorhandenes in ein neues Licht.
Ausgehend von der Idee, dass die Kirche unter Franziskus den Menschen als Individuum im Mittelpunkt sieht, soll das Gebäude jeden in seiner Einzigartigkeit willkommen heißen. Analog zur Vorstellung, dass vor Gott jeder Mensch nackt ist, sind alle Maßnahmen von der Idee des Entkleidens durchdrungen. Im Zentrum der Hauptstadt soll die Hedwigkathedrale für die deutschen Katholiken eine Vorbildfunktion im Hinblick auf die Erneuerung der katholischen Kirche unter Papst Franziskus sein. Gleichzeitig soll gerade die puristische Ästhetik der Umbaumaßnahmen die würdevolle Eleganz des Baus unterstreichen.
Öffnung
In Anlehnung an den ursprünglichen Bau aus dem 18. Jahrhundert und als Symbol der Öffnung der Kirche gegenüber der Gemeinde werden die äußeren Stahlglastüren im Kirchenvorraum entfernt. Wie in der antiken Stoa soll vor Betreten der Kirche Raum für Begegnung sein und so ein Bindeglied zwischen Gemeinde und Kirche entstehen.
Die mittlere Eingangstür wird dabei in Angleichung an die Bronzegeländerstäbe von Schippert ganz mit Bronze verkleidet. Durch diese optische Verschließung soll die Symbolkraft der Hauptachse verstärkt werden wenn der Weihbischof durch die geöffnete Tür einzieht.
Pantheon
Die im Krieg zerstörte Laterne auf der Kuppel, die von Schwippert nicht erneuert wurde, soll auch in unserem Entwurf nicht hinzugefügt werden. Wir wollen so die Nähe zum originalen Pantheon wahren und dem Leitgedanken der Neuausrichtung der katholischen Kirche folgen, nach dem die Kirche nicht durch höhere Bauwerke, sondern mit ihrer Präsenz in der Gemeinde überzeugt.
Die Rampe für den Behindertenzugang wird an Ort und Stelle belassen, soll aber mit Stein und massiven Belag aufgewertet werden.
Verglaste Öffnung
In der Rotunde bleibt die Treppe zur Unterkirche komplett erhalten. Es wird jedoch der Mittelteil bis zum Niveau des Bodenbelags der Oberkirche mit veredeltem Beton aufgegossen. So entsteht, wie für die Prozession vorgesehen, eine zentrale Mittelachse vom Haupteingang zum Altar.
Für die entstandenen zwei Abgänge zur Krypta verwenden wir das alte Geländer und ergänzen es mit Stäben des entfernten Rundgitters. Die ehemalige Öffnung ist mit einer von dünnen Stahlträgern durchzogenen, blickdichten Glaskonstruktion geschlossen worden.
Altar und Gemeinde
Der Altarraum wird vergrößert, indem auf seiner rechten und linken Seite zwei der drei eingeschnitten Treppenstufen mit heller Betonmischung aufgefüllt werden. Durch die geschlossene Öffnung zur Krypta kann der vorher unterbrochene Treppenkreis geschlossen werden. Der dazu aufgefüllte weiße Beton krakt über die ehemalige Öffnung und durchbricht so von der Krypta aus sichtbar die Glasplatte. Gleichzeitig entsteht eine symbolische Schnittmenge zweier Kreise, die Altarraum und Gemeinde verbindet.
Vom Altar bleibt der Hauptteil erhalten; es wird nur die alte Platte entfernt. Eine neue Platte aus weißem Beton führt von der Oberfläche über die rechte Seite zum Altarboden, wird in diesen eingelassen, um dann in den Ambor überzugehen. Altar und Ambor werden so physisch verbunden, wodurch Verkündigung und Altarzeremonien symbolisch wie Wort und Tat ineinander übergehen.
Bischofssitz
Im hinteren Bereich wird der Altarraum von einer halbrunden Wand umschlossen, in deren Mittelachse ein Kreuz gestanzt ist. Als Zitat frühchristlicher Gebäude sind Kathedra und Sedilinen in die Wand integriert, wobei der Bischof eine eigene Nische hat und zu seiner rechten und linken Seite jeweils fünf Plätze für die an der Liturgie beteiligten Geistlichen vorgesehen sind.
Der alte Bischofssitz soll sichtbar bleiben indem seine Lehne von hinten an die Rundwand gesetzt wird und die ehemalige Marmorstufe in dem nun erweiterten Podest sichtbar bleibt. Je nach Abschnitt im Kirchenjahr wechselt die Farbe des Stoffbezugs auf dem Bischofssitz. Wenn der Erzbischof nicht selbst die Messe leitet, ist für den ihn vertretenden Priester im linken Teil der Priestersitze der dem Altar nächstliegende stofflich farblich hervorgehoben. Links vom Kreuz befindet sich gespiegelt zum Bischofssitz eine kreisförmige von einem Strahlenkranz umrahmte Einbuchtung, die zur Aufnahme von zeremoniellen Gegenständen dienen könnte.
Diese Neugestaltung des Altarraums soll eine größere Konzentration auf Worte und Handlung ermöglichen und die Aufmerksamkeit der Gläubigen fokussieren. Der Altar kann nun von allen Seiten durch Beweihräucherung geehrt werden und bietet im Altarraum ausreichend Platz für die Priesterweihe.
Taufbecken
Unter dem Oculus, wo das Licht durch den Kuppelbau zentral in die Kathedrale fällt, wird das neue Taufbecken in die Glasplatte eingelassen. Der Boden des Beckens ragt dabei in die Krypta. Da der Teil der Glasplatte unter dem Becken im Unterschied zur übrigen Platte transparent ist, wirkt es schwebend und das Licht kann aus der Kuppel ungehindert bis in die Krypta gelangen.
In der Mitte des Beckens befindet sich eine Halterung für die Osterkerze, sodass sich in der Osternacht die Gegensätze zwischen Feuer und Wasser im Zentrum der Kathedrale vereinen. Die Gläubigen erneuern im Schein der Osterkerze ihr Taufversprechen und werden durch die eigene Kerze an ihre Taufe und den Auftrag, als „Kinder des Lichts“ zu leben, erinnert.
Gemeinde
Auf der rechten und linken Seite von Taufbecken und Altarraum findet die Gemeinde auf Stühlen Platz, die je nach Anlass in verschiedenen Aufstellungen aufgebaut werden können. Die Marienfigur wird in der Fensterkonche links vom Altarraum belassen und auf der rechten Seite gespiegelt zum Altar ergänzt durch ein Abbild der Heiligen Hedwig.
Die Namenspatronin der Kirche wird oft mit nackten Füßen und Schuhen in den Händen dargestellt und versinnbildlicht mit ihrem Einsatz für die Armen in besonderer Weise das Anliegen von Franziskus, die Kirche zu ihren Wurzeln zurückzuführen. Vor beiden Figuren stehen Bänke für Gebet und Blumengaben sowie Kerzen zum Aufstellen.
Orgel
Als neben Altar und Ambor dritter Verkündungsort soll die Orgel für die Gemeinde deutlich sichtbar sein. Sie wird von ihren Zierelementen befreit, um die Orgelpfeifen nackt zur Geltung zu bringen. Das Rückpositiv (Schwellwerk), die Pedale und das Mittelstück des Hauptwerks werden nach oben gerückt, um den mittleren Haupteingang wieder in voller Höhe freizustellen.
Die zwei getrennten Emporen werden zu einer verbunden, die im Rundbogen vor der frei schwebenden Orgel verläuft und auf der Chor und Orchester Platz finden können. Das alte Geländer und Hauptteile der Orgel werden belassen und unter der Prämisse der Schlichtheit neu gestaltet.
Rotunde
Um den Innenkörper der Rotunde wieder voll zur Geltung zu bringen, werden die Wände von ihrer jetzigen Struktur befreit und glatt verputzt. Die Glaslichterketten vor den Säulen, die den eigentlichen Baukörper in den Schatten rücken, werden durch Strahler hinter den Säulen ersetzt.
Der Boden der Hauptkirche wird in seinem Belag belassen wobei die gleichförmig glatte Fläche durch Aufrauungen eine zonierende Struktur erhalten soll. Dazu werden die jeweils gegenüberliegenden Doppelsäulen durch scharrierte Linien verbunden, wodurch ein Schachbrettmuster entsteht.
Vor den Säulen wird kreisförmig ein etwa 2 Meter breiter Weg scharriert. Innerhalb dieses Rundwegs grenzt mit seinen Eckpunkten ein parallel zu den Schachbrettlinien scharriertes Quadrat an. Die gegensätzlichen Formen Quadrat und Kreis gehen so eine harmonische Verbindung ein, die an den Boden des römischen Pantheons erinnert. Gleichzeitig wird der Rundweg als Kreuzweg mit 14 Stationen genutzt.
Energie
Damit die Kirche auch Vorbild im Umweltschutz ist, soll die Energieeffizienz des Gebäudes verbessert werden. Da gerade über die Kuppel viel Wärme entweicht, wird die derzeitige Aluminiumverkleidung zwischen den Stahlbetonsegmenten entfernt und durch eine hochwertig gedämmte und schallabsorbierende Oberfläche ersetzt. Das Erscheinungsbild soll erhalten bleiben und erfährt durch eine Illumination eine Aufwertung.
Ort der Andacht
Die ursprüngliche Kapelle, die als Sakristei diente, wird wieder als Kapelle genutzt, in der nun der Tabernakel steht. Durch einen Torbogen soll die Kapelle vom Hauptraum zugänglich sein. Durch die halbrunde Wand des Altarraums ist diese Öffnung vom Hauptraum aus zu sehen. Gleichzeitig bietet die Wand eine Begrenzung, die den Kapellenraum von der touristischen Betriebsamkeit trennt und so zu einem würdigen kleinen Andachtsort macht.
Tabernakel
In der von der Hauptachse gesehen rechten Conche steht nun der Tabernakel auf einer Erhöhung mit einer Bank davor zum Niederknien. Gespiegelt zur Hauptachse links befindet sich die figürliche Darstellung des heiligen Petrus, die zuvor über dem Tabernakel hing und nun einen eigenständigen Platz hat. Rechts und links vom Eingang ist jeweils ein Beichtstuhl und auf der linken Seite zwischen Beichtstuhl und Petrusskulptur das Taufbecken aus der Unterkirche. Der Stoffbehang der zuvor den Altarraum von der Sakristei abgrenzte, wird nun hinter den Altar der Kapelle platziert, um diesen vom Ausgang zu trennen.
Der vorhandene Abgang zur Unterkirche führt in den Unterraum der Kapelle und soll künftig für die Kirchenväter ein Raum der Einkehr sein. Er wird von seinen Einbauten befreit und besteht nur noch aus einer Bank zum Niederknien, einer Kerze und einem Kreuz.
Abgang
Für den Abgang zur Unterkirche werden die zwei Treppenabgänge von Schwippert belassen. In der Mitte der beiden Treppen wird ein Podest aus drei Stufen gegossen, die als Sitzmöglichkeit dienen. Auf den äußeren Seiten der Treppen von Schwippert wird ebenfalls jeweils ein Podest gegossen, auf das Stühle gestellt werden können. Durch die erhöhten Sitzpositionen gibt es überall eine uneingeschränkte Sicht zwischen Gläubigen und Priester.
Der Altarraum wird vergrößert indem das halbrunde Podest von hinten durch aufgegossenen Beton erweitert wird. Die Steinplatte, die zuvor den Tabernakel mit dem Altar der Hauptkirche verbunden hat, wird entfernt.
Begegnung
Die Gestaltung des Altarraums erfolgt analog zu dem der Hauptkirche. So wird vom Altar ebenfalls nur die Platte entfernt und die neu gegossene wie im oberen Raum physisch mit dem Ambor verbunden. Wie oben wird der Altarbereich von hinten durch eine halbrunde Wand umschlossen, in deren zentrale Mittelachse ein Kreuz gestanzt ist. In den dort eingelassenen Nischen finden bis zu drei Geistliche Platz. Für die Beleuchtung werden die Glaskugeln der Hängelampen des Hauptraums in die Wand eingelassen. Ein altes Element wird hervorgehoben und kommt so zu neuer Strahlkraft.
Indem vor sechs Kapelleneingängen jeweils ein schlichtes Wandelement steht, wirkt der Innenraum homogener und bekommt eine intimere Atmosphäre. Gleichzeitig erfahren auch die einzelnen Kapellen beim Betrachten eine konzentrierte Würdigung. Lichtstrahler hinter den Wandelementen verleihen dem Raum durch diese indirekte Lichtquelle eine Leichtigkeit.
Der untere Raum kann so gleichsam ein Raum der Begegnung als auch Ort für kleinere Messen und Andachten sein.
Die Sakristei soll in einem neugeschaffenen Raum untergebracht werden, der die Hedwig-Kathedrale unterirdisch mit dem Bernhard Lichtenberg-Haus verbindet. Die Platzfläche hinter der Kirche ist an dieser Stelle mit einer blickdichten Verglasung versehen, sodass die Beleuchtung der Sakristei bei Dunkelheit nach außen dringt. Direkt an der Fassade der Kathedrale ist die Glasfläche durchsichtig, sodass das Außenmauerwerk sichtbar ist. Luftschächte an den Außenwänden der Sakristei ermöglichen eine natürliche Be- und Entlüftung des Raums.
Die Erschließung erfolgt über die ehemalige Taufkapelle der Unterkirche und über einen Eingang an der neugeschaffenen Glasfassade an der Stirnseite des Bernhard-Lichtenberg-Hauses.
Durch die Wiederverwendung von Materialien, den Einsatz einfacher Rohstoffe und der gezielt minimalistischen Interventionen stellen wir eine kostengünstige Realisierung der Umgestaltung sicher.