„Können wir uns wehren? Fragt´s aus Dir mild. Ach kein Buch, kein Bild wird mich so belehren. Was ich an Dir schaute, etwas davon bleibt immer, nie vertraute Mauer, dich habe ich lieb.“
J. Ringelnatz (aus „Alte Winkelmauer“)
Verlust des Primats der Technik
Die Menschheit ist im Begriff in ein neues Zeitalter zu gehen. Hierbei verlassen wir ein Weltbild, das uns über Jahrtausende geprägt hat. Das Weltbild, das die Griechen mit dem Wort "techne" – die Kunst Maschinen zu bauen – beschrieben haben. Dieses technische Weltbild wird durch die neuen Technologien zunehmend an Bedeutung verlieren und einem neuen Denken, Empfinden und Handeln weichen.
Veränderte Wahrnehmung
Anzeichen für diese veränderte Wahrnehmung gibt es tagtäglich. So habe ich 1993 auf einem öffentlichen Platz in Aachen eine Installation aufgebaut, um mit einem hundert Meter langen transparenten Gartenschlauch auf einen längst versiegten Bachlauf aufmerksam zu machen.
Diese Aufmerksamkeit teilten die gut ein Dutzend Kinder, die sich in unmittelbarer Nähe meines Aktionskreises befanden, nicht. Wie auch, sie waren mit ihren Blicken an ihre Gameboys gefesselt.
Virtualität substituiert Realität
Durchdringt man dieses Phänomen, werden einem sicherlich auch immanentere Beispiele einfallen, in denen es um ein neues, ein virtuelles Weltbild geht, das Realität substituiert. Paul Virillio beschreibt in seinem Aufsatz „Gott, Medien, Cyberspace“ eben diesen Verlust der wirklichen Realität, die durch die neuen Technologien in Form einer Subtraktion zu einer virtuellen Realität führen.
Die Ausstellung „Weltbilder“, die 1993 in den Räumen der Galerie Schickler in Nürnberg gezeigt wurde, thematisierte diesen gesellschaftlichen Wandlungsprozess
Neue Orientierung
Die drei Galerieräume werden durch eine eingemauerte Wand in ihrer bisherigen Ausrichtung getrennt. Das gewohnte Bild der Galerie wird gestört. Neue Räume, die eine neue Orientierung erfordern, entstehen. Während an den ursprünglichen Wänden der Galerie keine Kunstobjekte zu finden sind, dient die neu errichtete Wand als Träger der Installationsobjekte.
Im ersten Raum ist eine Zu- und Abluftanlage in die Wand eingelassen, im zweiten Raum befindet sich nichts an der Wand und im dritten Raum die Projektion der Zu- und Abluftanlage. Reale und projizierte Ventilation stehen symbolisch für das mechanische und virtuelle Weltbild.
Nutzlosigkeit
Wo die Wand funktionaler Bestandteil der Räumlichkeit sein könnte, erfährt der Besucher nicht nur ihre Nutzlosigkeit, sondern vielmehr die Nutzwidrigkeit. Wozu dient eine Wand, die weder trägt, noch in verständlichem Maße abteilt? Was soll eine Ventilation, die nicht Luft von außen und innen austauscht, sondern lediglich die Luft im Rauminnern umschichtet?
Wenn etwas, das wir alltäglich aus einem bestimmten Gebrauchszusammenhang und Nutzwert kennen, uns plötzlich in einem anderen Zusammenhang als sinnlos erscheint, so kann diese Irritation den Blick befreien auf ein Kunstwerk. Durch dieses dann auf uns selbst.
Suche nach Sinn
Ganz dem Sinnzusammenhang Funktionalität entrissen, wird die Wand zum Ding. Sie muss nun betrachtet, angeschaut werden. Der irritierte Blick aber sucht den Sinn. Beim betrachtenden Erschließen, beim Versuch, sich in ein Verhältnis zum Sinn zu setzen, entdeckt der Besucher dann im dritten Raum am Ende der Wand ein bewegtes Abbild der sinnlosen Ventilation. Auch bei der Betrachtung der Abbildung läuft der Blick ins Leere. Sinnlos die ewig gleiche Bewegung eines sich drehenden Ventilatorblattes, gehört es doch zum Wesen eines Ventilators, durchlässig zu sein.
Wendepunkt
Nun steht der Betrachter an einem Wendepunkt. Ganz der sinngebenden Gewohnheit beraubt, muss er sich entweder erschreckt abwenden oder sich in einer Erfahrung im eigentlichen Sinne selbst begegnen. Im Durchbrechen der Gewohnheit, die in ihrer Selbstverständlichkeit sinnhaft strukturiert, wird Wirklichkeitserfahrung thematisch - jedoch im negativen Sinne.
Wirklichkeit zeigt sich als die fatale Abstraktion vom Wesentlichen. Diese Wirklichkeit macht Naturerleben unmöglich. Das Erleben der auf das Unwesentliche, auf den bloßen Augenschein reduzierten Abbilder von Natur schlägt um und lässt Naturerleben nur noch als Abbildungserfahrung zu.
Krisis als Sinn
Es zeigt sich so die Kehrseite von Naturbeherrschung. Das Bild gebändigter, geordneter Natur zwingt seinerseits Ordnung auf. Und so verweisen die bis zur Unkenntlichkeit reduzierten Symbole bzw. die wesenlosen Abbilder nur noch auf eine andere Stufe der Reduktion – niemals aber ins Freie. Jedoch erst im Bewusstsein dieses Dilemmas – der Voraussetzung für den Ansatz von Kritik – erfährt solch radikale Darstellung dann ihren Sinn. Allein im kritischen Impetus liegt ein Schein von Hoffnung.