Video-Installation in Nürnberg

Teil einer Idee

Für die Video-Installation wurde das ehemalige Reichsparteitagsgelände in Nürnberg gewählt. Der Ort, wo auf Reichsparteitagen Aufmärsche von SA und SS mit bis zu 150.000 Menschen stattfanden und Hitler die ihn frenetisch bejubelnde Masse auf den Krieg und letztlich die Massenvernichtung der Juden eingeschworen hat.

Die Lichtinstallationen von Albert Speer projizierten über den Menschen am Himmel ein gigantisches Lichtgewölbe, das den Einzelnen als Teil einer großen gemeinsamen Idee stilisierte, für die es sich lohnen sollte in den Tod zu gehen. Millionen verfolgten das Spektakel über den Rundfunk.

Individuum abgegeben

Wie kam es zu dieser hysterischen Verherrlichung, die das Individuum in der Masse auflöste und es auf den Teil eines Ganzen reduzierte, der jeglicher eigenverantwortlichen Handlungskompetenz beraubt war?

Inwieweit bestand, wie Hannah Ahrendt es formulierte, die Fatalität genau darin, dass die Deutschen im Nationalsozialismus ihre Individualität abgegeben und damit die Verbrechen überhaupt erst ermöglicht haben?

Fragen, sich der Betrachter der Installation stellen kann und die für ihn gleichzeitig physisch erlebbar werden.

Missbrauch des Menschen

Der Beamer projiziert in der Höhe des Rednerpultes auf die zur Straßenseite hingewandte Außenwand des Gebäudes abwechselnd Bilder und Textsequenzen. Während der Überblendung der wechselnden Ansichten ist ein menschlicher Herzschlag zu hören.

Die Bilder zeigen Darstellungen des damals in den USA gerade abgeschlossenen „Visible human project“, in dem ein menschlicher Körper zum ersten Mal dreidimensional vermessen wurde. Zu diesem Zweck waren hingerichtete Häftlinge zunächst eingefroren und dann in millimeterdünne Scheiben zerschnitten worden. Von diesen Scheiben konnten die Koordinaten der einzelnen Gliedmaßen abgenommen und so eine Dreidimensionalität dargestellt werden.

So wie die Nazis den Menschen nur als Teil einer Masse sahen, findet sich auch hier eine Weltanschauung, die dem Menschen seine Individualität nimmt und ihn für einen übergeordneten Nutzwert missbraucht.

Maschine Mensch

Die projizierten Textausschnitte stammen aus der Erzählung „Die Maschine“ von Thomas Bernhard. Die Geschichte handelt von Arbeitern, die mit einer von Ingenieuren entwickelten Maschine Stücke von einer Gummimasse abtrennen sollen. Ein Fallbeil teilt die Stücke ab, die dann von den Arbeitern verpackt und verschickt werden.

Als die Maschine kaputt geht und einer der Männer versucht, sie zu reparieren, trennt ihm die Guillotine den Kopf ab. Die Arbeiter verpacken den Kopf genauso wie die Gummistücke in Kartons und versenden ihn. Niemand hat wahrgenommen, was passiert ist. Es gab einen Auftrag, der ausgeführt wurde und jegliches eigenverantwortliche Handeln unterband.

Der Mensch fungiert nicht mehr als Individuum, sondern hat seine eigene Persönlichkeit, sein Ich-Verständnis abgegeben. Eingereiht ins System und den Glauben an eine größere Idee, entledigt er sich jeder Verantwortung sodass er sich als identitätsloses Subjekt in der Masse auflöst.

Sich stellen

Der Betrachter der Installation kann erst nachdem er das ganze Video anschaut hat verstehen, dass es sich bei den Bildern um einen menschlichen Körper handelt. Auch der Text von Bernhard erschließt sich erst am Ende. Bis dahin, kann auch der Betrachter nur Teile wahrnehmen, ist auch in der Situation, nicht das große Ganze zu sehen und wird damit aktiv in den Prozess der Auseinandersetzung eingebunden. Die Frage nach dem Zusammenhang der Installation zum Ort wird sich stellen und auch die danach, wie er selbst zu der Situation steht.

Jeder ist betroffen

Den sich ablösenden Bildern unterlegte Herzschlag symbolisiert dabei den Rhythmus des Lebens als Inbegriff des menschlichen Seins. Er ist ein Bindeglied zwischen der nationalsozialistischen Vergangenheit, der Installation und dem Betrachter. Letzterem wird deutlich gemacht, dass auch er gemeint ist und die Grundfrage nach menschlicher Identität jeden etwas angeht.